Friedhöfe in Meerbusch

Geschrieben von Falk Neefken am .

letzte Bearbeitung: 31.01.2018 Falk Neefken

 

Geschichte des Friedhofswesens in Deutschland

 Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das seine Toten bestattet. Gräber und Friedhöfe sind deshalb „dauerhafte Zeichen menschlichen Treibens und Daseins und legen Zeugnis ab von einer stetigen Beziehung zwischen Tod und Kultur" (Ariès). Von den Gräbern der Toten lassen sich Schlüsse auf die Lebenden ziehen, auf deren zivilisatorischen Zustand, auf deren Verständnis des Todes und deren Umgang mit Toten.

Das älteste Grab eines Menschen ist etwa 40.000 Jahre alt und wurde in der Dordogne / Frankreich gefunden. Die ältesten Zeugnisse einer Bestattung im Bereich des heutigen Meerbusch stammen aus der Römerzeit: eine mutmaßliche Grabstätte im Ortsteil Meer (Büderich) und zwei 1861 an der alten Limesstraße (heute in etwa die B 222) gefundene Tuffsteinsarkophage, deren Inhalte sich im Britischen Museum in London befinden (Reichmann). Des Weiteren wurden in Ossum beigabenlose Brandbestattungsgräber aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. gefunden.

Im Altertum wurden die Grabstätten außerhalb der Siedlungen agelegt, denn Tote machten unrein. Man scheute den Umgang mit ihnen, fürchtete ihre Wiederkehr. Verbannte sie deshalb aus den Städten und Dörfern, verehrte sie aber zugleich, um sie zu besänftigen.

In Rom sowie in den Städten des römischen Reichs, also auch im Rheinland, lagen die Grabstätten an den Ausfallstraßen. Einzel- und Familiengräber befanden sich in Privatbesitz, Gemeinschaftsgräber in der Verwaltung von Funeralkollegien. Gut und oft pompös ausgestattet sollten sie vom Ansehen derer zeugen, deren Gebeine oder Asche hier beigesetzt waren. Das gemeine Volk hingegen wurde wahrscheinlich auf eine Art Schindanger gekarrt und dort verscharrt oder verbrannt. Zur Kaiserzeit wurden Verstorbene in Rom, die keine Angehörigen hatten, einfach in tiefe Schächte geworfen und so entsorgt. Eine Beerdigung, so glaubte man, war nicht notwendig, konnten doch nur diejenigen Toten als Manen (Geister) weiterleben, die in einem Familienverband eingebunden gewesen waren: keine Angehörigen, kein Weiterleben.

Mit der Christianisierung Europas veränderte sich der Umgang mit Toten. Der Tod galt jetzt nicht mehr als das unumkehrbare Ende des Lebens, sondern als ein Durchgangsstadium zum ewigen Leben. Die Angst vor dem Tod ging verloren, und damit einhergehend verflüchtigte sich die Angst vor Toten. Die bisher auch übliche Feuerbestattung galt schnell als heidnisch und wurde unter Karl dem Großen 785 verboten, erwartete man doch die leibliche Auferstehung der Toten am Ende aller Zeiten. Zum Schutz der Leichname bestattete man deshalb in Keramikamphoren, die Urnen nachempfunden waren, und in steinernen oder gemauerten Sarkophagen, die mit Inschriften und Unsterblichkeitssymbolen verziert wurden.

Begüterte Christen erlaubten die Beisetzung ihrer Sklaven und Bediensteten hinter ihren Grabstätten, christliche Gemeinden sorgten für die Bestattung ihrer Glaubensgenossen. So entstanden Begräbnisstätten, die sich nicht an den Straßen entlang zogen, sondern vertikal in die Fläche gingen, eben Friedhöfe. Es entwickelte sich dass Recht auf ein eigenes Grab, zu dem man Grabspenden bringen konnte. Besondere Verehrung brachte man den Gräbern von Märtyrern entgegen, Männern und Frauen, die wegen ihres Glaubens den Tod erlitten hatten.

Mit dem Glauben an die Auferstehung verbunden ist die Vorstellung eines „jüngsten Gerichts". Alle Völker erscheinen vor Christus, und je nach Lebenslauf stehen den einen die ewige Strafe, den Gerechten aber das ewige Leben bevor (Matthäus 25,31ff). Dazwischen siedelte man das Purgatorium an, das Fegefeuer, in dem sündig gewordene Seelen geläutert wurden. Da man Märtyrern zutraute, vor dem Weltenrichter hilfreichen Einfluss auf dessen Urteil nehmen und so die Verweildauer im Fegefeuer verkürzen zu können, verstärkte sich die Verehrung der Märtyrer und Märtyrerinnen. Man pilgerte zu ihren Gräbern, feierte dort Gottesdienste und flehte sie um Hilfe an. Man baute über ihren Gräbern Kapellen und Kirchen und verbrachte Reliquien, z. B. Teile des Skeletts, in Kirchen, die man ihnen durch Namensgebung weihte.

Im Mittelalter wurde es üblich, um des eigenen Seelenheils willen, möglichst in der Nähe der Reliquien, also bei den Heiligen, zur letzten Ruhe zu kommen. Karl der Große dekretierte die Beisetzung auf Kirchhöfen, die Kirchen selbst entwickelten sich zu Begräbnisplätzen. Durch Zuwendungen und Stiftungen konnte man erreichen, möglichst nahe am Altar mit den dort eingelassenen Reliquien beerdigt zu werden. Wenn dies aus Platz- oder Geldgründen – Bestattungen in den Kirchen waren wichtige Einnahmequellen für den Klerus – nicht möglich war, ersuchte man um ein Grab an der Außenmauer der Kirche oder auf dem Kirchhof. Und wurde auch dies verwehrt, zum Beispiel Suizidenten und Ungetauften, so konnte es schon mal vorkommen, dass Angehörige die Gebeine oder den Sarg nachts in die Bäume des Kirchhofs hängten (Ariès).

Der am 23. März 1699 verstorbene Pfarrer an St. Nikolaus in Osterath, Ludger Lauchten, verfügte: „Mein todter Körper und Leichnam soll zu Osteradt in der Kirche nach christlichem Brauch einfältiger Weise, jedoch mit Vigilien und seelmeßen ehrlich zu erden und grab allda vor der Communikantenbank oder an einem andern befüglichen Ort biß zu dem jüngsten Tag des Herren zu ruhen bestattet werden". (Holzschneider S. 167)

Die Friedhöfe wanderten von der Peripherie in die Zentren der Siedlungsplätze und blieben dort über Jahrhunderte. Erst mit der Reformation setzte in protestantischen Gegenden eine Verlegung der Friedhöfe wieder an die Ortsränder ein. Man brauchte Siedlungsraum, zudem wurde „der Hygienediskurs zwingender als die häufig beschworene Gemeinschaft von Lebenden und Toten auf den Kirchhöfen inmitten der Städte" (Fischer). So schrieb Martin Luther 1527 an die Evangelischen in Breslau: „Als erst las ich das die Doctores der erztney . . .urteilen, obs ferlich sei, dass man mitten in stedten kirchhofe hat. Denn ich weiß und verstehe mich nichts drauff, ob aus den grebern dunst oder damüf gehe, der die luft verrücke. Wo dem aber also were, so hat man ursachen genug, dass man den kirchhof ausser stadt habe."  

Vor allem aber wandelte sich für evangelische Christen die Bedeutung der Heiligen. Sie gelten zwar weiterhin als Vorbilder im Glauben, aber gingen ihrer Mittlerrolle verlustig. Protestanten verstehen sich als Gott direkt gegenüberstehend, die Fürbitte der Heiligen wurde nicht mehr als nötig angesehen, man musste also auch nicht mehr in ihrer Nähe bestattet werden.

Für das Seelenheil waren im Rheinland auch die zuständig, die teilweise eigene Kapellen hatten und sich für deren Mitglieder verpflichteten, den verstorbenen Bruderschaftlern Messen lesen zu lassen und für sie zu beten.

Für den Protestantismus aber veränderte sich im Umgang mit Sterben und Tod der Focus: Das Handeln galt primär nicht mehr den Toten, sondern – bis heute – den Hinterbliebenen. Der Friedhof entwickelte sich zum Ort des Trostes, „ein feiner stiller Ort, darauf man mit Andacht gehen und verweilen kann, den Tod, das Jüngste Gericht und die Auferstehung zu betrachten und beten", so Martin Luther in einer seiner Tischreden.

Unabhängig von den konfessionellen Vorstellungen kam es Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts zu Friedhofsverlegungen aufgrund hygienischer Überlegungen. Vor allem in den Städten waren Kirchen und ihre Höfe mit verwesenden Leichen überfüllt, deren Geruch die Luft verpestete. Europaweit wurden Friedhöfe innerhalb der Städte geschlossen und neue Begräbnisplätze außerhalb der Siedlungsplätze angelegt, oft genug gegen den Widerstand kirchlicher Kreise, die um ihre Einnahmen bangten. Sanitätskollegien und Medizinalordnungen sowie die strukturierte Planung der neuen Begräbnisplätze, die meist parkähnlich angelegt wurden, zeugen davon, dass das Bestattungswesen aus den Händen der Kirchen in die des Staates übergingen. Die Friedhöfe entwickelten sich zu Orten weltlicher Erinnerungskultur.

Die konfessionelle Spaltung Deutschlands bestimmte weitgehend die Bestattungskultur. Während in katholischen Landen die Erdbestattung unter Hinzuziehung eines Priesters üblich war und ist, wurden bis Ende des 19. Jahrhunderts nur 20% der Evangelischen im Beisein eines Pfarrers beerdigt. Erst seit kurz vor dem 1. Weltkrieg wurden nahezu alle Evangelischen kirchlich bestattet.

Unterschiede bestanden auch bei den Feuerbestattungen. Während im 19. Jahrhundert protestantische Bürger und auch Pfarrer die Feuerbestattungsbewegung unterstützten und so das erste deutsche Krematorium 1878 im evangelischen Thüringen, in Gotha, eröffnet wurde, war für Katholiken die Feuerbestattung bis 1963 verboten.

Die Geschichte des Friedhofswesens ist in Deutschland zurzeit einem starken Wandel unterzogen. Hatte im Mittelalter die Kirche bei den Bestattungen eine Monopolstellung und übernahmen im 18. /19. Jahrhundert  die Kommunen die Regie, so gibt es heute kaum noch Regeln für Bestattungsformen und Bestattungsorte. Individualisierung, Säkularisierung, auch die Mobilität sowie die eigenen Wünsche und Vorstellungen verändern vor allem in urbanen Gegenden das Sepulkralwesen. "Die Geschichte des Friedhofs, so wie wir ihn kennen oder zu kennen glauben, findet nach 2000 Jahren ihren Abschluss", konstatiert der Theologie Reiner Sörries, der Leiter des Sepulkralmuseums in Kassel.

 

Literatur:

Philippe Arriès, Geschichte des Todes, München 1980

Philippe Arriès, Bilder zur Geschichte des Todes, München 1984

Norbert Fischer, Geschichte des Todes in der Neuzeit, Erfurt 2001

Theodor Holzschneider, Historische Nachrichten über die Pfarrgemeinde Osterath, 1870, in: Schmalbach, Bock, Margielsky, Blommer und Holzschneider, Meerbusch 2008

Christoph Reichmann, Vor- und Frühgeschichte, in: Peter Dohms (Hrsg.), Meerbusch. Die Geschichte der Stadt und der Altgemeinden, Meerbusch 1991.

Reiner Sörries, Ruhe sanft. Kulturgeschichte des Friedhofs, Kevelaer 2009.

Reiner Sörries, Herzliches Beileid - Eine Kulturgeschichte der Trauen, Darmstadt 2012
Mike Kunze, Was vom Leben bleibt - Grabsteine als lokalhistorische Quelle (Teile I), in: Meerbuscher Geschichtshefte, Heft 27, Meerbusch 2010, S. 153 - 157.

Margot Klütsch, Spiegel mit vielen Facetten - Friedhöfe und Grabmalkunst in Meerbusch, in: Jahrbuch für den Rhein-Kreis Neuss 2013, Hrg. Kreisheimatbund Neuss e. V., Neuss 2012, S. 200-219.