Geschichte der Kirchenmusik
geschrieben von: Falk Neefken
letzte Bearbeitung: 07.03.20223
Evangelische Kirchenmusik in Meerbusch
Kleiner Abriss der Kirchenmusik
Musik ist seit jeher ein fester Bestandteil kultischer Handlungen. Durch sie gibt man Gefühlen Stimme, lässt sich mystisch verzaubern und kann durch sie die „Botschaft“ der Religionen transportieren. Dies gilt auch für Judentum und Christentum. In Psalm 150 heißt es:
Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum.
Lobet ihn mit Posaunen, lobet ihn mit Psalter und Harfen!
Lobet ihn mit Pauken und Reigen, lobet ihn mit Saiten und Pfeifen
Lobet ihn mit hellen Zimbeln und mit klingenden Zimbeln.
Auf Reliefdarstellungen des jüdischen Tempels sind die hier genannten Instrumente gut zu erkennen, da diese aber keine Tonträger sind, wissen wir heute leider nicht, wie dieser Lobpreis Gottes geklungen hat.
Die ersten Christen, die sich zunächst auch als Teil der jüdischen Gemeinde verstehen, übernehmen mit Hymnen und Psalmen den Gemeindegesang, nicht aber das Instrumentarium. Man hat, vor allen in den Gemeinden im Gebiet der heutigen Türkei und Griechenlands, Sorge vor einer all zu großen Nähe zu heidnischen Bräuchen. Lediglich die Harfe (Kithara) als Instrument Davids wird zugelassen.
Der Chor
Menschen, die andere ehren oder ihnen eine Freude machen wollen, z. B. anlässlich einer goldenen Hochzeit, bestellen bis heute einen Spielmannszug oder einen Chor, in seltenen Fällen singen sie wohl selbst. Das war früher anders, man sang als Gemeinschaft. Das galt – und gilt – auch für kultische Gesänge: Man sang und singt „im Reigen“, wie es in o. a. Psalm heißt, das wirkt glaubhafter.
In der Liturgie der alten Kirche ist der „Chor“ noch die ganze Gemeinde. Erst allmählich bilden sich besondere Chöre heraus, im Mittelalter sind es dann nur noch Geistliche, die im Chor mitsingen dürfen, denn die Chormitglieder müssen die lateinischen Texte lesen können. Als Geistliche steht ihnen jetzt in der Kirche auch ein besonderer Platz zu, abgesondert von der Gemeinde, nämlich der Chorraum mit dem Chorgestühl, zwischen Altar und Gemeinde gelegen.
Gesungen werden meist einstimmige Lieder in lateinischer Sprache, ohne irgendeine Instrumentalbegleitung. Erste schriftliche Zeugnisse dieser gregorianischen (genannt nach Papst Gregor, der im 6. Jahrhundert die Liturgie reformierte) Choräle sind uns aus dem 8. Jahrhundert überliefert.
Ausgehendes Mittelalter
Im ausgehenden Mittelalter hat sich in der lateinischen Messe der gregorianische Choral als festes Element etabliert. Biblische Texte, Gebete, Hymnen, alles wird durch die Priester-Chöre gesungen, Gemeindegesang gibt es kaum. Die Messe, meist ohne Predigt, hat die Gemeinde zur Passivität verurteilt, der Gottesdienst ist zur singenden Kleriker-Kirche mutiert. Geistliche Lieder, die Leisen (von kyrie eleison abgeleitet), stimmt die Gemeinde eher bei Wallfahrten und Prozessionen an.
Gemeinde- und Chorgesang zur Reformationszeit
Im Gefolge der Reformation wird der Gemeindegesang enorm aufgewertet. Für Martin Luther ist die „musica“ ein „donum divinum et excellentissimum“, ein ausgezeichnetes göttliches Geschenk, das Trauer und Teufel vertreibt. Die Verkündigung des Evangeliums bedarf deshalb neben der Predigt auch der Ergänzung durch Musik.
Luthers gottesdienstliche Reformen setzten die Gemeinde wieder in ihr altkirchliches Amt als Trägerin der Liturgie ein, anstelle gregorianischer Gesänge werden jetzt deutsche Lieder gesungen. Und da es derer noch nicht viele gibt, lässt er durch Umfragen geeignete Lieder suchen und dichtet selbst – sechsunddreißig Lieder werden Luther zugeschrieben.
Er und andere formen lateinische Hymnen um, übersetzten sie ins Deutsche, transponieren biblische Texte in Liedform, greifen die Psalmen des Alten Testaments auf und scheuen sich nicht, weltliche Melodien für sakrale Zwecke zu übernehmen.
Werden die neuen Lieder zunächst nur choraliter, d.h. einstimmig und ohne Begleitung gesungen, bestenfalls nach Intonationen durch einen einstimmigen Chor, so entwickelt sich doch bald ein Wechsel zwischen Gemeinde- und mehrstimmigen Chorgesang.
Flugblätter verbreiten die neuen Lieder. 1523 erscheinen erste, noch recht schlanke Liederbücher, 1545 das „Babst’sche Gesangbuch“ mit schon 149 Liedern. Wesentlichen Anteil an Entstehung und Verbreitung der evangelischen Choralmusik in den protestantischen Gebieten Deutschlands hat Johann Walters „Geistliches Gesang-Buchein“ von 1524. Walter, Stadtkantor in Torgau und Hofkapellmeister in Leipzig, berät seinen Freund Luther bei der „Deutschen Messe“ und wird zum Organisator lutherischer Kantoreien.
Die Aufwertung des Gemeindegesangs führt zu einer Demokratisierung, aber auch zu einer Abwertung des Chores: Mitsingen darf jetzt jeder, der singen kann, nicht nur Geistliche. Aber der Platz des Chores wird jetzt die Empore, im Rücken und nicht mehr im Angesicht der Gemeinde.
Rezeption des Gemeindegesangs im Katholizismus
Das überaus starke Echo auf die Belebung des Gemeindegesangs hat auch Auswirkungen im katholischen Bereich: 1537 erscheint in Leipzig ein erstes katholisches Gesangbuch, das auch protestantische Lieder enthält, allerdings ohne Namensnennung der Verfasser.
Geistliche Repräsentationsmusik
Werden in den Gemeinden zunächst mehr schlichte Lieder gesungen, entwickelt sich an den protestantischen Fürstenhöfen und, leicht verzögert, im Bürgertum der Städte eine auch dem ästhetischen Genuss dienende geistliche Repräsentationsmusik, reich instrumentalisiert und vielchörig. In beiden setzt sich die deutsche Sprache durch.
17. Jahrhundert
Eine Blütezeit des evangelischen Chorals ist das 17. Jahrhundert, aus dem sich noch heute ein Großteil des Liedguts im „Evangelischen Gesangbuch“ (EG) von 1996 befindet. Das bisher vorherrschende „Wir-Lied“ findet seine Ergänzung im „Ich-Lied“, in dem nicht die Gemeinde, sondern der oder die Einzelne seinen bzw. ihren Glauben ausdrücken kann. Die Texte sind predigt- und lehrhaft, meditativ bis erbaulich und dienen der persönlichen Reflektion und Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben. Einer der wichtigsten Liederdichter jener Zeit ist Paul Gerhardt. Sein Werk umfasst rund 130 Lieder, 120 hat Johann Georg Ebeling, Kantor in Berlin und Stettin, vertont. Gerhardts Lieder zeichnen sich in Text und Melodie durch innige Gefühlstiefe aus, 28 davon befinden sich im EG, darunter die wohl mit bekanntesten „O Haupt voll Blut und Wunden“ und „Geh aus mein Herz und suche Freud“.
Johann Sebastian Bach
Johann Sebastian Bach ist bis heute einer der einflussreichsten protestantischen Kirchenmusiker. Seine geistlichen Werke gründen im liturgischen Erbe der lutherischen Frömmigkeit. Musik ist für ihn “zur Ehre Gottes und zur Recreation des Gemüts“ bestimmt, seine Notenblätter zeichnet er mit J.J. (Jesus juva = Jesus, hilf!) oder S.D.G. (Soli Deo Gloria = allein Gott zur Ehre). Ausgangspunkt seines Schaffens ist der protestantische Choral, alle seine geistlichen Kompositionen enthalten mindestens eine Choralstrophe oder instrumental eine Choralweise.
Mit Ausnahme der Oper umfasst sein Werk alle Kompositionsgattungen seiner Zeit: lateinische Gesänge, Motetten, Kantaten, Oratorien, Klavier- und Orgelmusik.
18. und 19. Jahrhundert
Die Aufklärung in Europa führt in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu einer Verweltlichung, der Einfluss der Kirchen geht zurück, die Bedeutung der Kirchenmusik sinkt. Statt der kirchlichen Kantoreien fördern staatliche Singschulen die musikalische Ausbildung. Das hat auch Folgen für die Vokalmusik. Kirchenchöre verkümmern, stattdessen entstehen allenthalben bürgerliche Oratorienchöre, die sich auch die Pflege der „kirchlichen und heiligen Musik“ zur Aufgabe machen. Geistliche Kompositionen bekommen neben ihrer kirchlichen immer stärker eine ästhetische Funktion. Ein Trend, der bis heute anhält.
1829 führt Mendelssohn Bachs Matthäus-Passion im Saal der Berliner Singakademie auf, ein Konzertereignis, und leitet damit eine Bachrenaissance ein. Seitdem ist Bach Vorbild für „geistliche Kunstmusik“ (Bernsdorff-Engelbrecht). Er gilt als „Musicien poète“ (Albert Schweitzer), um 1900 proklamiert man ihn gar zum fünften Evangelisten, Bach wird zum Maßstab alles Komponierens. Bis in unsere Tage ziehen die Johannes- und vor allem die Matthäus-Passion nicht nur Gläubige in ihren Bann.
Erst beim Wechsel vom 18. ins 19. Jahrhunderts gewinnt die Kirchenmusik wieder an Bedeutung. Die Singebewegung führt Gesangvereine wieder in die Kirchen zurück. Sie organisieren sich in Vereinen und schmücken die Gottesdienste auf Anfrage und an hohen kirchlichen Feiertagen aus. Es kommt zu einer Wiederentdeckung des reformatorischen Liedguts und der Chormusik vergangener Epochen, Orgeln und Orgelliteratur werden wieder geschätzt. Das gefühlvolle und oft schleppende pietistisch geprägte Singen verliert an Zustimmung.
Institutionalisierung der Kirchenmusik
Mit der Ablösung der Monarchie durch die Weimarer Republik werden die evangelischen Kirchen selbständiger und müssen ihre Angelegenheiten selbst regeln. 1935 kommt es zur Gründung eines Kirchenmusikalischen Amtes für die Kirchen in Preussen. Es werden Kirchenmusikschulen errichtet und Kirchenmusikordnungen erlassen. Kirchenmusiker werden insofern aufgewertet, als ihnen im Gottesdienst wieder ein geistliches Amt eingeräumt wird und sie für die künstlerische Qualität des kirchlichen Musizierens zuständig werden. Ihnen obliegen von nun an der Organistendienst in Gottesdiensten, die Durchführung von musikalischen Vespern, geistlichen Abendmusiken und Kantatengottesdiensten sowie die Aufführung konzertanter Kirchenmusiken. Ferner sollen sie nach Möglichkeit Kinder-, Jugend- und Erwachsenenchöre sowie Instrumentalkreise, Posaunenchöre und ggf. Orchester leiten. Ein umfangreiches Arbeitsfeld, in dem seither haupt-, neben- und ehrenamtliche Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen tätig sind.
Kirchenmusik nach 1945
1923 wird erstmals in Deutschland ein gemeinsames Kirchengesangbuch für einige Landeskirchen eingeführt, das die Grundlage für das Evangelische Kirchengesangbuch (EKG) von 1950 bildet. Doch erst 1968 kommt es auch im Rheinland und damit in den Gemeinden des heutigen Meerbuschs zur Anwendung. Das EKG bleibt bis 1996 in Gebrauch und wird dann durch das Evangelische Gesangbuch (EG) abgelöst.
Neben überliefertem Liedgut finden Lieder aus der Bekennenden Kirche Eingang ins EKG. Dichter wie Rudolf Alexander Schröder (Wir glauben Gott im höchsten Thron) und Jochen Klepper (Die Nacht ist vorgedrungen) beschreiben in ihren Texten die Nöte des Kirchenkampfes während der nationalsozialistischen Herrschaft, vor allem aber den biblisch begründeten Glauben an Überwindung der physischen und seelischen Nöte – Lieder, die schnell Eingang in die Gemeinden finden.
Neben den eher traditionellen Choralweisen finden in der 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts geistliche Schlager wie Danke und Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt vor allem bei jüngeren Kirchenmitgliedern Anklang. Spirituals, Gospelsongs und Jazzmusik bereichern die Gottesdienste, Sacro-Pop etabliert sich sowohl in evangelischen als auch katholischen Gemeinden. Wurde lange Zeit um die "richtige" Kirchenmusik gestritten, so finden die traditionelle Kirchenmusik und die kirchliche Popularmusik zuzeit zu einem pragmatischen Nebeneinander, ja an den Kirchenmusikhochschulen hat Popularmusik-Unterricht Eingang gefunden.
Die Königin der Instrumente – die Orgel
Die Orgel als großes mehrstimmiges Instrument findet im Altertum zu Tanzmusik und auf Jahrmärkten, nicht aber im sakralen Bereich Verwendung. Erst im 8. Jahrhundert kommt sie über Byzanz ins Abendland, 500 Jahre benötigt sie, um als Instrument der Kirchenmusik Anerkennung zu finden. Die Blütezeit der Orgelmusik liegt im 17. Jahrhundert.
Der Frühprotestantismus steht der Orgel skeptisch gegenüber. Huldreych Zwingli, Reformator in Zürich, erachtet die Orgel als „papistisches Machwerk“, verbannt sie aus dem Gottesdienst und lässt die Orgel im Zürcher Münster abreißen. Die erste Wittenberger protestantische Kirchenordnung verbietet sogar das Orgelspiel im Gottesdienst, spätere Überarbeitungen erneuern das Verbot aber nicht. Vielleicht, weil Martin Luther möglichst viel von dem nutzt, was der Verbreitung der reformatorischen Lehre dient. So äußert er: „Um des jungen Volkes willen muss man lesen, singen, predigen, schreiben und dichten, und wo es hilfreich und förderlich dazu wäre, wollte ich lassen mit allen Glocken dazu läuten und mit allen Orgeln pfeifen und alles klingen lassen, was klingen kann.“
Zunächst kommt die Orgel im protestantischen Gottesdienst höchst zaghaft zum Einsatz: improvisatorische Vor- und Nachspiele zu Beginn und Ende des Gottesdienstes, Intonationen und alternatives Musizieren. Erst allmählich kommen die Begleitung des Gemeindegesangs und spezielle Orgelliteratur für gottesdienstliche Zwecke hinzu. Ein Gutachten der Universität Wittenberg gibt ihr schließlich den theologischen Segen: „Es ist die instrumentalis musica für sich eine Gabe Gottes. . . Wenn man das weiß, so ist es genug und wird damit nicht in den Wind georgelt. . . Wer das wie, der ärgert sich nicht an den Orgeln.“ Da es zunächst nur wenig Orgelliteratur gibt, bedienen sich die Organisten sehr zum Ärger der geistlichen Aufsichtsbehörden zunächst an Gassenhauern, französischen Chansons und niederländischen Liedern. Parallel dazu setzt das Sammeln von verwendbaren Klaviersätzen ein, es entsteht eine wachsende Orgelliteratur, hauptsächlich Choralsätze, wenig liturgische Musik.
Im 17. Jahrhundert kommt es zu einem Aufschwung der Tasteninstrumente und in Folge zu einem Ansehensgewinn der Organisten. Es entwickelt sich ihr bis heute gültiger Aufgabenkatalog: Vor- und Nachspiel im Gottesdienst, Choralvariationen und -phantasien sowie die Begleitung des Gemeindegesangs. Dietrich Buxtehude schließlich bringt das Choralvorspiel als eigene Gattung zur Geltung; 30 Kompositionen sind von ihm überliefert.
Die Choralbearbeitung wird bis heute zur wichtigsten Gattung protestantischer Orgelmusik.
Kirchenmusik in den Meerbuscher Gemeinden
- Bearbeitung -
Literatur
Christiane Bergerhoff-Engelbrecht, Geschichte der evangelischen Kirchenmusik, Wilhelmshaven 1980
Christof Falkenrot, Artikel „Gottesdienst“ in Clasen, Meyer-Blank, Ruddat (Hrsg.), Evangelischer Taschenkatechismus, Rheinbach 2001, S. 192-195
Johann Hinrich Claussen, Gottes Klänge - Eine Geschichte der Kirchrenmusik, München 2014
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