Bruderschaft & Schützen

Geschrieben von Falk Neefken am .

letzte Bearbeitung: 21.05.2014 Falk Neefken

Heimat- und Schützenfeste haben im Rheinland eine Jahrhundert alte Tradition. Auch in Meerbusch sind sie sehr beliebt und erfreuen sich eines großen Zuspruchs an aktiv Mitwirkenden und an denen, die mehr um der Freude am Spektakel willenteilnehmen. „Ich höre schon des Dorfs Getümmel, hier ist des Volkes wahrer Himmel" dichtete J.W. von Goethe in seinem berühmten „Osterspaziergang". Wesentliches Element der Heimat- und Schützenfeste sind dabei Schützenzüge und Bruderschaften, die heute stark im katholischen Vereinswesen verankert sind, deren Wurzeln aber bis in prähistorische Zeiten zurückreichen. Sie haben einen genuin religiösen Hintergrund.

Bruderschaften waren gleichsam eine Art gegenseitige Lebensversicherung, wenn auch für das Leben nach dem Tode. Ihre Mitglieder gaben füreinander das Kostbarste, was sie besaßen, nämlich das Gebet. Mit der Fürbitte für ihre Verstorbenen wollten sie dafür sorgen, dass ihnen Zeiten des Fegefeuers erlassen werden oder ihnen gar die ewige Pein in der Hölle erspart bleibt und sie am Ende aller Tage im göttlichen Gericht bestehen können. Ihr primäres Anliegen war folglich das Seelenheil ihrer Verstorbenen. Im späten Mittelalter, als die großen Sippenverbände sich auflösten und nicht mehr gewährleistet war, dass Anverwandte für das Seelenheil beten oder für eine christliche Bestattung sorgen konnten, bildeten sie sp neue soziale Netzwerke, die auch gesellschaftlichen Halt boten und in Notzeiten für gegenseitige Unterstützung sorgten. Sie waren Manifestationen praktischer christlicher Nächstenliebe.


Manche Bruderschaften hatten ein großes gestiftetes Vermögen, das für das Lesen von Seelenmessen eingesetzt wurde. So gab es z.B. im Mönchengladbacher Raum Bruderschaften, die dafür einen eigenen Kaplan anstellen konnten. Das Vermögen deutet darauf hin, dass Bruderschaften in ihren Anfängen elitär waren, da nur Vermögende Stiftungen aussetzen konnten.

Der Toten im Rahmen einer kultischen Feier zu gedenken, war bereits in der Antike üblich, hat also keine genuin christlichen Wurzeln. Im Christentum entwickelten sich daraus u. a. die Votivmessen, Seelenämter, wie sie in der katholischen Kirche bis heute üblich sind.

Spiritueller und Gemeinschaft stiftender Ansatz der Bruderschaften haben sich, wenn auch manchmal nur rudimentär, bis heute gehalten. Meerbuscher Bruderschaften feiern jährlich eine Messe für ihre verstorbenen Mitglieder. In Osterath hat die St. Sebastianus-Bruderschaft von 1475 kürzlich zum Gedenken an ihre Toten auf dem Friedhof ein Kreuz aufgestellt. Auch das seit einigen Jahren reaktivierte Brudermahl der Osterather St. Sebastianer geht wohl letztlich auf die früheren Totenmahle zurück.

Bruderschaften entstanden um Kirchen oder Kapellen und unterstellten sich einem Schutzheiligen, in Ossum und Bösinghoven dem Heiligen Pankratius und in Langst-Kierst dem Heiligen Martin. Eine Zeitlang war St. Hubertus Teil des Namens des Heimat- und Schützenvereins in Strümp. In Büderich, Lank und Osterath wählte man das Patrozinium des Heiligen Sebastian, der vor allem in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts populär wurde und vor gefährlichen Krankheiten sowie vor dem Tod von Mensch und Tier schützen sollte. Deshalb dürfte es sich bei den St. Sebatianus-Bruderschaften im Rheinland ursprünglich um Pestbruderschaften handeln.

Schützenvereinigungen sind in der Neuzeit zwar von den Bruderschaften kaum zu trennen, haben aber andere, ältere Wurzeln. Sie gehen in ganz Europa auf vorgeschichtliche Zeiten zurück, in denen es üblich war, einen Vogel (meist einen Zaunkönig) zu schießen. Dieser verkörperte eine Gottheit, durch seinen Tod wollte man sich dessen positive Kräfte aneignen. Zu diesem Zwecke wurde der erlegte Vogel auf einer Stange während einer Prozession von den an der Jagd Beteiligten durch das Dorf getragen und allen gezeigt. Träger der „Standarte" war der Schütze, der für ein Jahr den Titel „König" erhielt.

Dieser Ritus und die ethymologische Forschung zeigen, dass das Wort „Schütze" von „schießen" abgeleitet ist. Schützen sind Menschen, die schießen, und nicht solche, die „beschützen" oder „bewahren", wenn sie sich auch heute meist so verstehen.

Das Schießen des Vogels war ein kultischer Vorgang, die Prozession ein Opferritus, an die sich ein Gottesdienst, ein königliches Mahl und eine Tanzveranstaltung anschlossen – Elemente, die heute bei Schützen-. und Heimatfesten üblich sind. Der Vogelschuss fand im Frühjahr statt, etwa um die Pfingstzeit herum, zu einer Zeit, da die Aussaat abgeschlossen war. Es mag also nicht von ungefähr sein, dass der Reigen der Heimat- und Schützenfeste in Meerbusch jährlich in Büderich zu Pfingsten eröffnet wird.

Vermutlich bildeten diejenigen, die auf die rituelle Vogeljagd gingen, Schützengilden, aus denen später die Schützenvereinigungen hervorgingen. Im Rheinland befinden sich die ältesten deutschen Schützengesellschaften.

Der mittelalterlichen Kirche waren die Schützenvereinigungen suspekt, pflegten sie doch mit dem Vogelschuss einen beliebten heidnischen Brauch. Da Verbote aber nichts fruchteten, versuchte die Kirche, den volkstümlichen Brauch in ihrem Sinne zu nutzen, in dem sie die Schützen in die Bruderschaften integrierte und der Opferung des Vogels das Opfer Christi am Kreuz gegenüberstellte. So dürfte auch das christliche Prozessionswesen hier eine seiner Wurzeln haben, vor allem die Fronleichnamsprozession, an der traditionell Schützenzüge teilnehmen und, so in Osterath, den Baldachin über dem Allerheiligsten tragen.

Schießen oder Schützen?

In dem Maße, in dem die Bedeutung des heidnischen Vogelschießens in den Hintergrund trat, entfaltete sich das Schießen als Volksbrauch der Freizeitgestaltung und der Geselligkeit. Und da so immer breitere Kreise sich daran beteiligten, das Elitäre der Bruderschaften zugunsten einer Art Demokratisierung der Schützenbruderschaften zurückwich, bot sich für die Landesherren eine Möglichkeit, die Freude am Schießen zur Wehrertüchtigung zu nutzen. Laut dem Historiker der rheinischen Schützenbruderschaften, Christoph Nohn, ist dieser militärische Zug von außen an die Schützengruppen herangetragen worden und widerspricht deren ursprünglichen Intentionen. „Ludimus non laedimus, wir spielen, aber wir verletzen nicht" ist das Motto spätmittelalterlichen Schützenwesens, das letztlich – trotz aller Uniformen und militärischem Reglement – bis heute gilt. Historisch gesehen leisteten Schützenorganisationen wenig zur Verteidigung der Städte, da diese hauptsächlich Söldner damit beauftragten. Auch gibt es in den Statuten der Schützenbruderschaften keinerlei Hinweise auf Pflichten im Sinne der Verteidigung.

Folgen der Reformation

Mit der Reformation in Deutschland verband sich ein Wandel im Totengedenken. Die Vorstellung, für das Seelenheil Verstorbener eintreten zu können, verblasste. Die geistlichen Aufgaben der Bruderschaften waren hinfällig geworden, so dass auch der Zuspruch der Bruderschaften zurückging. Parallel dazu nahm die Anzahl der Schützen in den Bruderschaften zu, so dass sie sich zu den heute üblichen Schützenbruderschaften entwickelten.

Mit der Reformation erstarkten in Deutschland die Territorialstaaten. Und mit der Regelung „Cuius regio, eius religio" („wessen Gebiet, dessen Religion", volkstümlich „wes der Fürst, des der Glaub") des Augsburger Konfessionsfriedens von 1555 nahm der Einfluss der Landesherren auf die konfessionelle Ausrichtung ihrer Untertanen zu. Im Rheinland hatte dies zur Folge, dass die Schützenbruderschaften für die Ziele der Gegenreformation eingesetzt und damit konfessionalisiert wurden. Mitglieder konnten nur noch Männer katholischen Glaubens werden, Protestanten waren – wie Juden – ausgeschlossen.

Noch heute sind die Schützenbruderschaften im katholischen Vereinsleben integriert. Vorsitzender, Präses, ist der katholische Ortspfarrer. Die Historischen Deutschen Schützenbruderschaften, denen die Meerbuscher Bruderschaften angehören, sind nach den Diözesangrenzen organisiert.

Im Alltag allerdings sind die Konfessionsgrenzen weithin überwunden: Evangelische sind Mitglieder in den Schützenzügen; in Osterath kam es schon vor, das nur Evangelische an der Fronleichnamsprozession den Baldachin (volkstümlich „Himmel" genannt) trugen, und ökumenische Gottesdienste zum Heimat- und Schützenfest sind in allen Ortsteilen üblich.

 

Literatur:

Christoph Nohn, Bruder sein ist mehr, Düsseldorf 2000
Alois Döring, Rheinische Bräuche, Köln 2007, hier S. 279 – 289 Schützenfeste